OHNE

05.06.2002    Parterre, Basel, Switzerland.

line-up: Dave Phillips, Tom Smith, Daniel Löwenbrück, Reto Mäder

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REVIEWS

Ein Wasserhahn tropft, seit fuenfzehn Minuten schon. Auf der Buehne passiert nichts. Der Wasserhahn tropft weiter, minutenlang, bis das monotone Ploppen in ein verfremdetes Geruelpse uebergeht. Es folgen natuerliches Geruelpse neben verzerrtem Geruelpse, Geruelpse, das an einen Loewen erinnert und Geruelpse, das kaum mehr als solches erkennbar ist. Irgendwann, eine gute halbe Stunde nach dem ersten Tropfen aus dem Wasserhahn, betreten ein paar Maenner die Buehne: Dass sich der Englaender Dave Phillips, der Schweizer Reto Maeder, Daniel Loewenbrueck aus Deutschland und Tom Smith aus den USA hier nicht als Musiker verstehen, wird den wenigen Besuchern im «Parterre» spaetestens jetzt bewusst. Tom Smith singt zwar, ueberzeichnet, trunken im Raum herumtorkelnd, von Melodie kann an diesem Abend aber nicht die Rede sein. Stattdessen irren die Protagonisten mit Trillerpfeifen umher, sie blasen Ballons auf, bis diese platzen, sie lecken die Nacken von unaufmerksamen Zuschauern, und dies zu andauernden Rueckkoppelungen, ohrenbetaeubendem Pfeifen, Kratzen und Droehnen aus den Lautsprechern. Es wird geschrieen. Die Schreie werden live durch Sequenzer reproduziert und uebereinander geschichtet. Es herrscht das absolute Chaos, aber nur scheinbar. Denn das heillose Durcheinander wird stets durchbrochen, sobald es die Schmerzgrenze zu ueberschreiten droht. Ploetzlich erklingt das beruhigende Plaetschern von Wellen, eine Harmonika spielt leise, waehrend sich im Hintergrund bereits das naechste Donnerwetter anbahnt. Es ist eine minutioes getimte Performance an der Schnittstelle von Krach aus Mischpult und Computer, Gesang, Improvisation und Provokation, eine Show, die unterhaelt, die keine Sekunde langweilt, auch wenn so gut wie keine Sequenz klar durchstrukturiert ist. Das Publikum wird gefordert. Nur, wozu? Die Frage nach dem Sinn einer derartigen Performance draengt sich auf. Die Strukturen von Theater und Musik aufzubrechen, kann kaum alleiniger Zweck sein. Das kennt die Welt schon seit den 50er Jahren. Das interessiert heute niemanden mehr. Ist die Provoka-tion von «Ohne» reiner Selbstzweck? Oder sollte die Frage nach dem Sinn hier gar nicht erst gestellt werden? Vielleicht liegt der Sinn im Unsinn. Unterhaltsam waere dieser Unsinn allemal, was wiederum Sinn machen wuerde. (‘Geruelpse als Selbstzweck?’ Marko Lehtinen, 07.06.2002 Basler Zeitung, zu OHNE im Parterre, Basel 5.6.2002)

(Marko Lehtinen, Basler Zeitung, June 2002)